Warum man die Gemse nach der neuen Rechtschreibung in „Gämse“ umbenannt hat, aber die Bremse nicht in „Brämse“, bleibt mir ein Rätsel. Aber ich bin ja auch kein Gärmanist. Allerdings weiß ich: Die Gämse heißt auch Gams, aber die Bremse nicht Brams. Auf jeden Fall erzählt mir Peter eines Tages, dass er von einem befreundeten Fotografen erfahren hat, dass man in den Vogesen Gämsen aus geringer Entfernung fotografieren kann.
Sofort bin ich Feuer und Flamme. Denn, wie der geneigte Leser weiß, habe ich einmal in Menzenschwand, unterhalb des Feldberg-Massivs, eine Gams fotografieren können (siehe „Die Sache mit den Giftschlangen und den Gämsen“).
Nun sind die Gämsen in den Vogesen nahe Verwandte der Gämsen am Feldberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben „wir“ den Franzosen einen Teil unserer Gämsen geschenkt. Nämlich genau elf. So etwas können nur die Schwarzwälder. Wir Rheinländer hätten niemals einen Elferrat an die Franzosen verraten. Wenn, dann hätten wir die heilige Zahl 12 genommen und den Gämsen die Namen der 12 Apostel gegeben (Apostel = Gesandter, Sendbote). Aber im Jahr 1956, als diese Tat geschah, war ich erst 2 Jahre alt und konnte deshalb leider noch nicht beratend eingreifen…
Das Problem ist, dass die übrigen Schwarzwälder Gämsen nun in ständiger Angst leben, an die Franzosen ausgeliefert zu werden. Deshalb sind sie so scheu (die Gämsen).
Diese Angst haben die inzwischen auf ca. 1200 Stück angewachsenen deutsch-französischen Gämsen in den Vogesen natürlich nicht mehr. Und deshalb kann man sie ganz aus der Nähe fotografieren.
Eigentlich wollte ich unmittelbar vor meinem Höchenschwand-Urlaub einige Tage bei Rosi im Rössle am Kaiserstuhl übernachten, um von dort aus die Vogesen und ihre Gämsen unsicher zu machen. Rosis Belegungsplan und das unglaublich heiße Rekordwetter machen mir aber einen Strich durch die Rechnung.
So trete ich meinen „normalen“ Urlaub an und fahre an einem Sonntag Ende Juli um drei Uhr nachts Richtung Höchenschwand. Die Wettervorhersage für Mittlach (Vogesen) verheißt für den Montag schönes Wetter. Nachdem ich mich in Höchenschwand eingerichtet habe, gehe ich zeitig zu Bett, denn um kurz vor zwei Uhr klingelt wieder der Wecker. Ich möchte doch noch vor Sonnenaufgang am Hohneck bei den Gämsen sein.
Kurz vor drei Uhr fahre ich also Richtung Frankreich. Die Fahrt über Breisach und an Colmar vorbei ist relativ problemlos, dauert aber gut zweieinhalb Stunden. Lediglich ein Rehbock steht plötzlich mitten auf der Straße. Wegen des Wildwechselschildes bin ich jedoch auf eine derartige Situation gefasst. In Frankreich einen Unfall zu haben ist schließlich recht suboptimal.
Nach meinen Informationen soll der Abstieg zum Lac du Schiessrothried (jetzt weiß ich, warum ich Französisch nach zwei Jahren in der Schule abgewählt habe) gämsenmäßig sehr erfolgreich sein. Andere berichten, dass die Gämsen auf dem Gipfel des Hohnecks sehr zutraulich sind.
Ich parke erst einmal unterhalb des Gipfels und steige hinauf zum Einstieg in den steilen Pfad Richtung Lac du Schiessrothried. Rechts oben von mir sehe ich bereits die ersten Gämsen. Ich nähere mich vorsichtig. Es ist vor sechs Uhr morgens, die Sonne ist noch nicht zu sehen.
Immer wieder bleibe ich stehen und tue so, als interessieren mich die Gämsen nicht einen Deut. Je mehr ich mich aber nähere, desto weiter ziehen die ziegenartigen Viecher talwärts. Eine Gams ist jedoch recht schmerzfrei, und ich kann mich ihr bis auf fünf Meter nähern.
Aber warum sind die anderen Gämsen so scheu? Im Internet stand doch, dass man ganz nah an sie herankommt?
Den Grund erfahre ich kurz darauf: Viele der Gämsen-Mamas haben ihre Kitze im Schlepptau. Und die müssen um jeden Preis geschützt werden.
Trotzdem erwische ich einige Kitze im Morgenlicht. Ihr dichtes, flauschiges Fell wird vom Sonnenlicht umrahmt, und das Gras, in dem die Gämsen stehen, leuchtet im Gegenlicht. Ich bewege mich fotografierend langsam Richtung Spitzkoepfe, wo ich auf einem der dort liegenden Steine eine kleine Rast mache.
Gemächlich gehe ich zurück Richtung Parkplatz. Die Gämsen haben sich tief hinunter in den Gletscherkessel „Wormspel“, südlich des Hohneck-Massivs zurückgezogen.
Kurz vor Erreichen meines Fahrzeugs entdecke ich einen alten Grenzstein „Deutschland-Frankreich“. Ja, die Gegend hier gehörte einmal zu Deutschland. Mit dem Auto fahre ich zum Gipfel des Hohnecks. Im Osten kann ich den Schwarzwald sehen. Ich wandere vom Gipfel des Hohnecks hinab Richtung Martinswand. Auf dem Weg begegne ich mehreren (sehr freundlichen!) Franzosen. Ganz offensichtlich ist der alte Deutschenhass passé. Nachdem ich ein freundliches „Bon jour“ sage, erklären sie mir irgendetwas auf Französisch. „Je ne parle pas français (aber bitte red weiter)“ der Songtext von Namika hilft mir wirklich weiter. Zum Glück habe ich auch vorher recherchiert, dass „Gämse“ auf französisch „Chamois“ heißt. Die freundlichen Franzosen erklären mir, dass „Chamoises“ hinter einer Wegkuppe zu finden seien. Das „hinter einer Wegkuppe“ besteht allerdings aus einem Fingerzeig in meine Wanderrichtung und einer Handbewegung, die einen Hügel andeutet. Einer der Franzosen rennt sogar ein Stück vor, um mir die Stelle noch näher zeigen zu können. Wäre das vor 60 Jahren denkbar gewesen? Ich bin beeindruckt!
Mein „Merci“ ist wirklich ehrlich gemeint. Einige hundert Meter weiter, kurz vor der legendären Martinswand, treffe ich auf die Gämsen, die sich zuerst einmal gar nicht stören lassen. Leider habe ich das Pech, dass sowohl hinter mir, als auch von vorne und links von mir (da ist kein Weg, nur die Wiese, die die Gämsen gerade abgrasen) plötzlich mehrere Leute gleichzeitig mit Handys und Kameras auftauchen und die armen Gämsen regelrecht einkesseln. Denen bleibt keine Wahl: Sie müssen sich talwärts zurückziehen.
Ich marschiere zurück zum Hohneck-Gipfel, wo mein Auto parkt. Seltsame Rinder gibt es hier auf den Weiden. Es ist die vom Aussterben bedrohte Rasse des Vogesenrinds. Sprachbegabt sind die Kühe allerdings. Die muhen in astreinem Deutsch!
Gegen Mittag fahre ich zurück nach Höchenschwand, um mich gegen drei Uhr nachts erneut zum Hohneck aufzumachen. Auf der Bank am Wormspel warte ich auf den Sonnenaufgang, um genug Licht für das Fotografieren zu haben. Rechts oberhalb von mir grasen die Gämsen, die ich noch nicht bei ihrem Frühstück stören will. Leider kommen zwei junge Frauen und ein Mann noch vor Sonnenaufgang und vertreiben mir die Gämsen. Nur eine Gams kann ich dann noch im Morgenlicht fotografieren. Sie liegt auf der Wiese neben dem Weg und wiederkäut in aller Ruhe. Bis auf drei Meter kann ich mich ihr nähern.
Natürlich bin ich verärgert, denn ich hatte ja vor, die Kitze noch besser als am Vortag abzulichten. Zusätzlich zu meinem 100-400mm-Objektiv habe ich extra das 600er mitgnommen. Alles vergebens.
Allerdings finde ich diesmal das Vogesen-Stiefmütterchen (Veilchen) und einige verstreute Prachtnelken. Gestern schon wollte ich die Veilchen fotografieren, habe sie aber leider nicht gefunden. Deshalb habe ich heute das Makro-Objektiv nicht mitgenommen. So ist das im Fotografen-Leben: Du brauchst immer das, was Du gerade nicht dabei hast. Andererseits kannst Du aber auch aus Gewichtsgründen nicht ständig die gesamte Ausrüstung mitschleppen.
Trotzdem bin ich fast zufrieden. Ich würde nur zu gerne noch die Kitze und auch die alten Tiere im Abendlicht fotografieren.
Also fahre ich am nächsten Sonntag, es ist schönes Wetter angesagt, wieder Richtung Vogesen. Zum Sonnenaufgang ist der große Parkplatz am Hohneckgipfel bereits fast voll belegt. Alle wollen die Gämsen sehen. Die haben sich aber bereits größtenteils verzogen. Ich gehe Richtung Martinswand. Etwas oberhalb des Weges entdecke ich die Spitzen zweier Hörner, die über den Wiesenkamm ragen. Vorsichtig nähere ich mich und habe zwei Gämsen direkt vor mir. Da mich aber die anderen Besucher des Gebietes fotografieren sehen, kommen sie schnell von allen Seiten, um auch ein Foto zu machen. Das war’s dann wieder einmal mit der Nähe zu den Gämsen.
Oben auf dem Hohneck-Gipfel ist kurz darauf der Parkplatz fast leer geworden. Ich mache im Auto ein kleines Nickerchen. Gegen 9:30 Uhr kommt das Gros der Wanderer und Ausflügler. Der Parkplatz wird erneut voll. Ich nehme Reißaus und fahre zum Lac de Lispach, einem idyllisch gelegenen Moorsee ganz in der Nähe, wo ich eine kleine Runde drehe.
Anschließend mache ich mich auf den Weg zur „Source de la Moselle“, zur Moselquelle. Kaum zu glauben, dass dieses kleine Rinnsal einmal zum Fluss wird. So klein, und schon eine Mosel… Gleichzeitig mit mir kommt ein Ehepaar aus der Nähe von Trier an der Quelle an. Der Sohn hat sie hierher gefahren. Mit den Rädern wollen sie die Mosel von der Quelle bis zur Mündung in Koblenz „bezwingen“ und haben für die ca. 550 km eine Woche Zeit eingeplant.
Während das besagte Ehepaar mit Unterstützung des Sohnes die Ausrüstung auf die Fahrräder packt, fahre ich wieder Richtung Gamswild. Mit einem Abstecher zum nahe gelegenen „Jardin d’altitude du Haut Chitelet“. Während ich die 5,10 € Eintrittsgeld zusammenzähle, schüttelt die nette junge Dame am Eingang den Kopf „Gratuitée pour tous, le premier dimanche du mois hors.“. Die Worte kann ich nicht deuten, aber die abwehrende Haltung gegenüber meinen sauer verdienten Vorruhestandsbezügen kapiere ich schnell. „Allemagne?“ fragt sie. „Yes.“ antworte ich. Sie drückt mir eine Mappe in die Hand, die mir auf Deutsch Orientierung im künstlich angelegten Dschungel geben soll. Ein sehr empfehlenswerter Dschungel. Aus den unterschiedlichsten alpinen Regionen der Welt sind hier botanische Beispiele zusammengetragen worden. Ein Eldorado nicht nur für Pflanzenliebhaber und Fotografen (Makro nicht vergessen!), sondern für die ganze Familie. Denn auch für die Kinder ist hier viel Spannendes zu sehen. Leider ist die Hochblüte im August vorbei und ich muss mich mit dem „Rest“ begnügen.
Gegen 18 Uhr fahre ich dann wieder auf den Gipfel des Hohnecks. Der Parkplatz ist überfüllt. Zum Glück fahren jetzt einige Besucher Richtung Heimat, so dass ich einen Stellplatz für mein Auto ergattern kann.
Ich möchte aber noch immer Gämsen im Abendlicht und den Sonnenuntergang fotografieren, gehe hinunter zur Martinswand und bewege mich wieder Richtung Gipfel. Einen Gamsbock kann ich „schießen“. Sonst kein Vieh zu sehen. Nur viele Leute, die auf einen fantastischen Sonnenuntergang warten. Und der lässt auf sich warten. Während viele ihre Kameras gen Westen ausrichten, erkenne ich bereits aus Erfahrung, dass es mit dem Sonnenuntergang heute nichts wird. Dafür ist die Wolkenschicht im Westen nicht dünn genug.
Um 21:30 Uhr fahre ich zurück nach Höchenschwand, wo ich gegen Mitternacht eintreffe. Seit 22 Stunden bin ich nun unterwegs gewesen. Völlig k.o. falle ich ins Bett…
Es sind doch , tro tz der blöden störenden Besucher, sehr schöne Bilder geworden. Du musst dir da was einfallen lassen, womit du die Leute vertreiben kannst( Stinkbomben oder so…).