Schnarchkonzert und Muckibude: Rehabilitation nach Hüftoperation

Wie du sicherlich schon in meinem Bericht „Und die Patienten-Bande brüllt: Wer hat das Hüftgelenk geklaut?“ gelesen hast, habe ich meine Hüftgelenk-OP gut überstanden. Die Reha wurde leider von der Rentenversicherung abgelehnt, aber von meinem privaten Krankenversicherer glücklicherweise genehmigt. Eine Rehabilitation nach Hüftoperation und anderem Gelenk-Ersatz ist unbedingt notwendig. In der Reha wirst du sozusagen „rehanimiert“. Meine Reha-Maßnahme habe ich nicht stationär, sondern ambulant in einem nur wenige Kilometer entfernten Reha-Zentrum in Düren-Lendersdorf beantragt.

Mein erster ambulanter Rehatag: Ab 7:00 Uhr soll ich mich zu Hause bereit halten. Gegen 7:15 Uhr werde ich vom Fahrdienst des DRK abgeholt. Meine munteren Leidensgenossen klären mich sofort auf: Ich solle froh sein, bei ihnen mitzufahren und nicht im Beerdigungsbus. Im Beerdigungsbus sitzen nämlich die Morgenmuffel unter den Rehabilitanten. Dort wird kein Wort gesprochen. Eine Atmosphäre wie auf einer Beerdigung. Deshalb der Name „Beerdigungsbus“. Übrigens klingelt es einige Tage später bereits morgens um kurz vor halb sieben an meiner Haustür. Es ist also angebracht, sich schon ab 06:30 Uhr bereit zu halten. Es gibt aber auch noch eine spätere Reha-Schicht, die gegen 10:00 Uhr ihren Anwendungs-Parcours beginnt. Diese Patienten sind allerdings auch entsprechend später am Nachmittag wieder zu Hause. Ich jedenfalls gehöre zur frühen Truppe.

Nun beginnt die Rehabilitation nach Hüftoperation: Im Reha-Zentrum werden alle neuen Patienten eingewiesen. Wir erhalten unsere Aktenmappe mit den Laufzetteln und dem heutigen Tagesplan:

09:00 Uhr: Physiotherapie (Krankengymnastik)
11:00 Uhr: Pflege (Zuckerwerte, Blutdruck, Gewicht, Größe, BMI)
11:30 Uhr: Physikalische Therapie (elektrischer Stuhl, Grillbude)
12:30 Uhr: Mittagessen
13:15 Uhr: Arzt
14:00 Uhr: Heimfahrt

Ab 08:00 Uhr und in den terminfreien Zeiten: immer wieder Muckibude, Muckibude, Muckibude.

Die Physiotherapie und physikalische Therapie gibt es jeden Tag. Dazu stehen für uns Hüft-Opfer an unterschiedlichen Tagen Gymnastik in der Turnhalle, Entspannung im Ruheraum, kleine Seminare und Bewegungsbad auf dem Plan.

Knie-, Rücken-, Schulter-, Schlaganfall-Patienten usw. haben andere Schwerpunkte auf ihren Terminplänen. Allerdings gibt es immer wieder Schnittmengen.

Die Physiotherapie besteht aus Dehn- und Lockerungsübungen, Gangschulung usw. Es ist die Gelegenheit, die Therapeutin/den Therapeuten auf Besonderheiten (z.B. aufgetretene Wehwehchen) hinzuweisen. Langes Sitzen an den Wochenenden (z.B. bei Festlichkeiten) wirft mich nämlich jedes Mal zurück und lässt das Bein bei jedem Schritt schmerzen. Eine Massage/Lockerung der Muskulatur in der Physiotherapie wirkt da immer wieder Wunder!

Der Programmpunkt „Pflege“ klingt vielversprechend. Voller Vorfreude, von Schwester Irene gepflegt zu werden, klopfe ich an ihre Türe. Blutdruck, Zuckerwert, Größe, Gewicht, Bauchumfang und BMI (Body-Mass-Index) werden ermittelt. Das war’s auch schon mit der Pflege. Enttäuscht und etwas verschämt ob meiner Gewichts-, Bauchumfang- und BMI-Offenbarung verlasse ich Schwester Irene.

Ein besonderes Erlebnis ist die physikalische Therapie, auch „Grillbude“ genannt. Ein Szenario, das mich an eine Roboter-Aufladestation in einem futuristischen Film erinnert: Ca. 6 Kabinen in 2 Reihen. Auf den Liegen liegen Leute mit heruntergelassenen Hosen und warten auf ihr Schicksal. Auf meinen linken Oberschenkel werden 2 Pfropfen angebracht, die an irgendein Gerät angeschlossen sind, das von der Therapeutin hochgeregelt wird. Bei gefühlten 40.000 Volt fragt sie, ob es genug kribbelt. Ich beeile mich, ein schnelles „Ja!“ zu rufen. Ab jetzt wird etwa alle 7 Sekunden ein mehrere Sekunden dauernder Stromstoß durch meinen Oberschenkel gejagt, der mich jedes Mal aufschrecken lässt. Als nach 20 Minuten der Tod durch den elektrischen Stuhl immer noch nicht eingetreten ist, schaltet die Therapeutin frustriert die Stromzufuhr ab. Das Ganze soll angeblich den Muskel aufbauen. Meine Befürchtung, vor lauter Muskeln nicht mehr durchs linke Hosenbein zu kommen, bewahrheitet sich nicht. Dafür sieht mein Oberschenkel jetzt aus, wie ein Feld voller Getreidekreise. Ich kann nur hoffen, dass die richtige Behandlungsart gewählt wurde, denn gerade bei Metall-Implantaten kann bei falscher Frequenz/Spannung ein so genannter Batterieeffekt (elektrolytische Wirkung) eintreten, bei dem sich Säure um das Implantat herum bildet, die das angewachsene Gewebe wieder zerstört und das Implantat löst. Auch Schwingungen und Wärmewirkungen können schädlich sein.

Irgendwann habe ich, während der Strom für meinen Nachbarn hochgeregelt wurde, mal aus Spaß panisch „Halt!“ gerufen. Die Dame am Regler schaut mich völlig entgeistert an. Hat sie vielleicht die Kontakte oder die Regler verwechselt? Ich erkläre, dass es sich nur um einen Scherz gehandelt hat.

Beim Arzt stehen überall Schilder, dass das Händeschütteln aus hygienischen Gründen verboten ist. Der Schreibtisch bildet eine für Arzt und Patienten unüberbrückbare Sicherheitsbarriere. Der Doktor fragt mich, ob alles in Ordnung ist und ich bejahe dies. Damit habe ich den Freifahrtschein für die nächsten Anwendungen.

Im Gymnastikraum müssen wir auf Hockern mit Therabändern und Schaumstoffbällen trainieren (Schaumstoffbälle zwischen den Knien zerquetschen, Beinchen heben usw.). Die Sportlehrerin trägt so eine Art Stiletto-Sportschuhe. Weil ich solche Modelle noch nie gesehen habe, habe mal so ähnliche aus dem Internet herausgesucht. Wedge Sneakers (zu deutsch: Keil-Schleicher) nennt man sie wohl. Hier kannst du sie betrachten. Wir werden der Sportlehrerin später noch einmal im Ruheraum begegnen.

Die fleißigen Patienten verbringen jede freie Minute in der Muckibude, die anderen im Aufenthaltsraum bei Kaffee und Kaltgetränken.

Die Muckibude ist meistens stark frequentiert und oft ist es trotz anwesender Aufsicht und Koordination nicht leicht, ein geeignetes freies Gerät zu ergattern. Für uns Hüftpatienten gilt es, Muskeln aufzubauen und die Beweglichkeit zu trainieren.

Je 3 bis 5 Einheiten á 15 Durchgänge mit kleinen Pausen zwischen den Einheiten:

– Plattendrücken
– Mit beiden Unterschenkeln Gewicht anheben
– Gewicht an einem Seil mit dem betroffenen Bein hochziehen
– Gewicht mit den Armen nach unten ziehen (Haltungstrainer)
– Bein mit Gewicht seitlich abspreizen und je 2 Sekunden halten (Hüftabduktion, nicht Hüftobduktion)

Weiterhin:

– Fahrrad fahren (20-30 Minuten)
– Wackeldackel, eine auf Federn gelagerte Metallplatte (ca. 10 Minuten abwechselnd auf einem Bein balancieren und versuchen, ruhig zu stehen)
– Laufband (20-40 Minuten für fortgeschrittene Hüftpatienten)

Das „Plattendrücken“ ist mein Favorit. Das kann man nämlich im Liegen erledigen. Eine Qual ist das Heben des Gewichts mit den Unterschenkeln. Zumindest dann, wenn man die Bewegungen langsam macht. Nur dann wirken sie aber auch. Bei dieser Übung habe ich den Blick auf die Sitzbank vor den Seilzügen. Dort sitzen die Patienten und bekommen eine Fußfessel um den Fuß des betroffenen Beines. An der Fußfessel ist ein Seilzug mit einem Gewicht, das das Bein nach oben zieht. Nun muss der Patient das Seil mit dem Fuß nach unten ziehen (und damit das aufgelegte Gewicht nach oben befördern) und dabei den anderen Unterschenkel nach oben bewegen. Und umgekehrt. Auch diese Übung muss eigentlich langsam erfolgen. Die meisten Patienten wedeln dabei mit den Beinchen wie wildgewordene Marionetten.

Der „Wackeldackel“ macht am meisten Spaß. So, wie ein Stotterer, den man direkt anschaut, die Sprach-Kontrolle endgültig verliert, so fängt man auf dem Wackeldackel sofort an zu trudeln, wenn man angeschaut wird. Es macht also einen Heidenspaß, ganz unschuldig am Wackeldackel vorbeizuschlendern, die Leute freundlich anzulächeln und zu sehen, wie sie reihenweise das Gleichgewicht verlieren.

Beim Radfahren gibt es einen Trick, der Bewunderung und Neid deiner Radl-Nachbarn hervorruft: Du steigst auf das Rad und schmeißt das Gerät an. Du befindest dich auf Schwierigkeitsgrad 1. Mit einer Plus-Taste kannst du den Schwierigkeitsgrad steigern, mit der Minus-Taste verringern. Jedes Drücken einer dieser Tasten ruft einen lauten Pieps-Ton hervor. Wenn du also schnell hintereinander abwechselnd die Plus- und die Minus-Taste drückst, hören deine Nachbarn beispielsweise 26 Piepstöne. Auch wenn sie es nicht zugeben: die zählen die Piepstöne mit! Die denken nun, dass du auf Stufe 27 radelst. Ein schier unerreichbarer Schwierigkeitsgrad. Tatsächlich aber befindest du dich auf Stufe 2 und radelst mit Leichtigkeit wie ein wildgewordener Tour-de-France-Teilnehmer, während du dir die neuesten Nachrichten reinziehst. Denn an der Wand vor den Ergometern sind zwei Flachbild-Fernseher angebracht, die dir die Übungszeit verkürzen sollen.

An manchen Tagen wird eine halbe Stunde „Ruheraum“ verordnet. Etwa 15 ruhebedürftige Frauen und Männer liegen auf Sesseln, die man per Hebel zu Liegen umformen kann. Ich lege mich ans rechte Ende des Patienten-Halbkreises. Unsere Sportlehrerin sitzt an einem weihnachtlich geschmückten Tischchen (wir befinden uns mitten im Advent) und wiegt uns mit leiser, hypnotisierender Stimme in den Schlaf:

„Du schließt die Augen.“
„Deine Arme sind schwer. Ganz schwer.“
„Deine Beine sind schwer. Ganz schwer.“
„Dein ganzer Körper ist schwer.“

Das kann nur mir und meinem BMI gelten. Schlagartig wird mir klar, dass ich unbedingt abnehmen muss!

„In dir ist es still.“
„Um dich herum ist es still.“
„Alles ist still, weihnachtlich still.“

Die ersten Teilnehmer beginnen, laut zu schnarchen. Ein Teilnehmer grunzt förmlich In die weihnachtliche Stille hinein.

Ich könnte Anzahl, Art und Lautstärke der Geräusche durchaus mit Leichtigkeit toppen, aber gerade wegen der vielen mittäglichen Apfelschorle, die in meinem Bauch rumort, traue ich mich nicht so zu entspannen, wie meine Ruhenachbarn.

Um mich wachzuhalten, formuliere ich gedanklich in meinem Kopf bereits das, was ich hier gerade über den „Ruheraum“ schreibe, während mir von rechts die Therapeutin ins Ohr säuselt und es von links her schnarcht und grunzt.

Endlich wird die Aufwachphase eingesäuselt. Wie alle Teilnehmer, so bekomme auch ich einen Stachelball, den ich mit meinen empfindlichen Pianistenhänden kneten soll. Anschließend müssen wir den Ball noch über Arme und Oberschenkel rollen. Ich passe höllisch auf, dass das stachelige Ding nicht zwischen meine Oberschenkel gerät. Dann dürfen wir gehen. Ich marschiere stracks zur Muckibude um mich beim Radfahren wieder munter zu machen.

Endlich kommt der Tag, an dem ich in das Bewegungsbad darf. Meine Gruppe ist die erste am heutigen Tag, darf also in das noch saubere Wasser. Nachdem der Therapeut sich vergewissert hat, dass jeder Teilnehmer größer als die Wassertiefe von 1,30 m ist, verteilt er Schwimmnudeln. Das sind lange, nudelförmige Schaumstoffgebilde. Zuerst schieben wir die Schwimmnudel beim Gehen durch das Wasserbecken vor uns her. Dann müssen wir die Schwimmnudel unter den Fuß des betroffenen Beines bekommen und unter Kontrolle halten, was durch den Auftrieb im Wasser recht schwierig ist. Es ist halt wie im richtigen Leben. Manche bekommen ihre Nudel nie unter Kontrolle.

Während der Reha lernen wir in halbstündigen Seminaren einiges über Entstehung, Prävention und Therapie von Diabetes, Osteoporose, Stress, Arthrose usw.

Am 23. Dezember, nach 15 Reha-Tagen, werde ich ehrenhaft aus der Reha entlassen. Im Bericht an meinen Arzt wird empfohlen, weitere Einheiten Krankengymnastik zu verordnen. Am 24. Dezember habe ich wegen des langen Sitzens beim Orgelüben und Orgelspielen, sowie den Heiligabend-Feierlichkeiten wieder starke Schmerzen, die mich in den nächsten Tagen zur Ruhe zwingen.

Inzwischen mache jeden Morgen die Übungen, die ich in der Reha gelernt habe. Mit Erfolg!

Tatsächlich kann ich am 01.01.2016, nur eineinhalb Monate nach der Hüft-OP, die 6 km weite Neujahrs-Wanderung meines Wandervereins zu den Bibern ohne große Schwierigkeiten und ohne Hilfsmittel mitmachen!

Die Wanderung ist zwar noch sehr anstrengend aber ich schaffe sie. Nun kann ich mich auf viele neue Aktivitäten im Jahr 2016 freuen!

Durch die regelmäßigen morgentlichen Übungen gelingt es mir am 06.01. endlich, diese verdammte linke Socke ohne Hilfsmittel (siehe „Und die Patienten-Bande brüllt: Wer hat das Hüftgelenk geklaut?“) anzuziehen!

6 Gedanken zu „Schnarchkonzert und Muckibude: Rehabilitation nach Hüftoperation“

  1. Liebes Brüderchen, deine Berichtserstattungen sind richtig köstlich. Ein kleiner Tipp von mir: solltest du wegen deiner anwachsenden Muskelmasse weiterhin Schwierigkeiten haben und deine Hosen nur bis zum Knöchel hochziehen können, gibt es extra Hosen mit seitlichen Druckknöpfen. Die kannst du nach Bedarf offen lassen, so wirst du in deinen tägl. Aktivitäten(wandern, Orgel spielen, Auto fahren, einkaufen…..)nicht behindert. Find ich toll, daß du schon so gut wieder „drauf“ bist, weiter so!!!! Alles Liebe und Gute für Euch und ein schönes erfolgreiches 2016!!! Deine /Eure alte Dodo

    1. Liebes Schwesterchen,

      vielen Dank für den Tipp. Ich habe es probiert. Leider springen die Druckknöpfe immer wieder auf…

      Liebe Grüße nach drüben über’n Berg!

      Bruder Ronald

  2. Lieber Ronald,
    Dein Reha-Bericht ist herrlich zu lesen. Du warst (bist) ja
    sehr diszipliniert bei der Sache. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, da ich zur Zeit bei der Physiotheraphie pausiere.
    Mach weiter so, vor allem Deine „Berichterstattungen“ sind einsame Klasse. Bis zur nächsten Wanderung .
    Lieben Gruß
    Katharina & Klaus

    1. Ihr lieben, fleißigen Kommentarschreiber, liebe Katharina!

      Auch für diesen Kommentar vielen Dank!
      Ja, ich versuche, meine Übungen täglich zu machen. Faulheit wird sofort bestraft…
      Also dann – bis zur nächsten Wanderung.
      Liebe Grüße
      Ronald

  3. Herrlicher Bericht! Dank Dir kann ich jetzt ein bisschen besser erahnen, was meine Patienten so denken, während sie gequält *hust* behandelt werden…. Liebe Grüße

    1. Liebe Lena,
      vielen Dank für deinen Kommentar, der mich jetzt ein bischen mehr ahnen lässt, wie meine Physiotherapeuten so denken, wenn sie mich quälen *hust* behandeln! Ich könnt‘ mich glatt bedauern…
      Da haben die Niederländer dir im Studium tatsächlich beigebracht, wie du deine Patienten quälen kannst?
      Aber solange du nicht in Lack und Leder mit der Nilpferdpeitsche vor der Behandlungsliege stehst, bin ich noch einigermaßen beruhigt.
      Übrigens, liebes C-Töchterchen, Papi war am Wochenende im Kloster Steinfeld zur Intensivtage-Chorleitung und Sonntag Abend mit den C-Schülern und Holle und Andreas bei Orgelbau Weimbs zur Werksbesichtigung und zum richtigen Zungenstimmen-Stimmen.
      Du siehst, ich bin immer noch „am Ball“.
      Liebe Grüße
      Ronald

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