Bereits seit Jahren will ich von unserem Mainacht-Fest berichten. Vor einigen Jahren waren die Mitglieder einer Maigesellschaft aus dem Nachbardorf in die Lagerhalle eingedrungen und haben unseren Dorfmai kurzerhand brutal zersägt. Im Jahr darauf kam die Pandemie. Aber in diesem Jahr will ich unbedingt dabei sein, wenn unser Dorfmai aufgestellt wird.
Vor kurzem haben unsere Dorfhelfer „Aktiv für Gey“ noch den Brunnen österlich geschmückt, heute helfen sie mit, die Mainacht zu gestalten. Denn, starke Männer mit starken Fahrzeugen sind gefragt. Das trifft u.a. auch auf Schorsch zu, dessen Traktor zur Vorbereitung der Mainacht und für den Dorfmai unverzichtbar ist. Während die „Mai-Jungs“ den Durchfluss der Zapfanlage ausgiebig testen, rangiert Schorsch den Trekker mit zwei Anhängern voll Brennholz über den Helmut-Rösseler-Platz. Gestern bereits, am Samstag, ist ein Teil der Buden aufgebaut worden. Jetzt, am Sonntagvormittag, werden die restlichen Aufbauten von denjenigen erledigt, die sich nicht gezwungenermaßen um die Zapfanlage kümmern müssen.
Abends um 19 Uhr soll der Dorfmai aufgerichtet werden. Dazu versammeln sich viele Dorfbewohner und Gäste von außerhalb auf dem Festplatz am Dorfgemeinschaftshaus in Gey. Die Maijugend und ihre Sympathisanten haben nicht nur für vegane Flüssignahrung, sondern auch für erhebliche Mengen Koteletts und Würstchen gesorgt, deren ehemalige Eigentümer nun kein umweltschädliches Methan mehr ausstoßen können! Also rundum eine gesunde, umweltfreundliche Sache…
Meine Frau und ich unterhalten uns mit Freunden und Bekannten, während die Jungs von der Maigesellschaft sich bereit machen, den Dorfmai aufzurichten. Einer hämmert mit einem Vorschlaghammer einen dicken Klotz zur späteren Stabilisierung des Dorfmais in das vorgesehene Loch. Der Klotz soll auch verhindern, dass der „Mai“ beim Aufrichten wegrutscht. Am Maibaum sind zudem einige Stahlseile befestigt: Eins führt zu einem großen Stahlseil-Spanner, der wiederum an Schorsch’s Traktor befestigt ist. Die anderen beiden Stahlseile werden rechts und links vom Maibaum durch zwei starke Burschen-Trupps gehalten. Die müssen dafür sorgen, dass der Mai stabil seine Richtung beibehält.
Mit einer Kettensäge werden die letzten Unebenheiten am Stamm beseitigt, damit die Aufrichthifen sich nicht verhaken und die Stahlseile später mit ihren Schlaufen den Stamm hinabrutschen können.
Wir Zuschauer werden vehement aufgefordert, Abstand zu halten und uns nur außerhalb des Maibaum-Radius aufzuhalten. Dem kommen wir gerne nach, denn es wäre schade um das Frittenschälchen, das meine Frau gerade in den Händen hält, und die Mainacht wäre beendet, bevor sie richtig begonnen hat.
Neben dem Dorfmai liegen Kanthölzer verschiedener Länge, die mit Griffen versehen sind und oben eine Gabelung besitzen. Mit diesen Kanthölzern hebt ein weiterer Trupp Burschen das Ende des Maibaums an, während am unteren Ende des Mais die Stahlseilwinde angezogen wird, damit der Baum nicht zurückfällt. Der Vorschlaghammer-Mann gibt zwischen seinen Schlägen an den Kantholz-Trupp lautstark genaue Anweisungen, um den Maibaum millimetergenau nach rechts oder links auszurichten.
Während der „Mai“ stückchenweise aufgerichtet wird, löst sich ab und zu eines der Schmuckbänder und schwebt wie an einem Fallschirm herunter. Zur hellen Freude der anwesenden Kinder, die sich sofort auf diese Trophäen stürzen.
So arbeiten sich die Jungs langsam, aber genau und sicher vor, bis nach etwa einer halben Stunde der Dorfmai in seiner vollen Schönheit steht. Die zahlreichen Zuschauer applaudieren kräftig. Der
„Vorschlaghammer“ schlägt anschließend noch zur weiteren Stabilisierung große Keile um den Baum herum in die Erde. Dann wird versucht, die Stahlseilschlingen am oberen Maibaumende zu lockern, indem peitschenartig Wellen in den Stahlseilen erzeugt werden. Mit viel Geduld und nach zahlreichen Versuchen rutschen die Schlingen endlich bis zum Boden, wo schließlich die Stahlseile gelöst werden können.
Nun gilt es für uns, Haus und Hof vor dem zu erwartenden Schabernack in dieser Mainacht zu schützen. Man hat quasi die Wahl: Entweder hermetisches Abriegeln des Eigentums, oder „Schutzgeld“, oder Auslösung der vom Grundstück verschwundenen Gegenstände gegen kistenweise „flüssiges Gold“. Meine Frau und ich entscheiden uns für eine Spende und achten darauf, dass unsere Adresse in die Spendenliste eingetragen wird…
Inzwischen ist auf dem aus Kopfsteinpflaster bestehenden Rundell des Helmut-Rösseler-Platzes das Brennholz aufgeschichtet und angezündet worden. In der Dunkelheit der Mainacht mache ich noch ein paar Fotos vom Feuer und dem Festplatz.
Während auf dem Platz die ganze Nacht gefeiert wird, versuche ich die Nacht schlafend zu verbringen. In vergangenen Jahren war oft nicht an Schlaf zu denken, weil die Maigesellschaft ihre Musik extrem laut abgespielt hat. Und wir wohnen keine 100 Meter Luftlinie vom Platz entfernt. In dieser Nacht ist es allerdings relativ ruhig. Zweimal werde ich durch laut grölende, vorbeifahrende Maigesellschaften geweckt. Ob es unsere Maijungs sind, die in einem der Nachbarorte den Dorfmai kapern wollen, oder ob es „feindliche“ Truppen sind, die es auf unseren Dorfmai abgesehen haben, weiß ich nicht. Ist mir auch egal, ich bin müde!
Am nächsten Morgen haben meine Frau, ich und unser Grundstück die Mainacht wieder gut überstanden. Der Dorfmai und die „Mai-Jungs“ hoffentlich auch…
Sehr schöner Maibaum, nur einer ist noch schöner: der Stockheimer .
Liebe Grüße
Hallo Heidi,
nächstes Jahr solltest Du zur Aufstellung des Maibaums nach Gey kommen. Ist sicher mehr los, als in Stockheim…
LG Ronald