Eigentlich will ich mit Kumpel Peter heute zu den Gämsen am Feldberg. Ein kurzer Blick auf ornitho.ch ändert alles: Bei Zürich zieht ein Waldrapp-Pärchen seit 400 Jahren wieder in freier Natur seinen Nachwuchs auf!
Obwohl ich bereits seit einigen Wochen in Höchenschwand bin, entdecke ich die Waldrapp-Sensation leider erst jetzt. Ob die Vögel wohl noch vor Ort sind? Die Bilder im Web zeigen, dass die beiden Jungen bereits ein voll ausgebildetes Gefieder haben. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Peter und ich verwerfen unseren Gämsen-Plan und fahren in Richtung Zürich.
Kurz vor unserem Ziel kommen wir an einer Stelle vorbei, an der offensichtlich ein Vogel-Liebhaber ein Storchen- und Vogel-Paradies aufgebaut hat.
Als wir am Zielort ankommen, sehen wir bereits zwei Fotografen, die die Familie Waldrapp auf einem Hallendach beobachten. Keine Ahnung, was in so einem Waldrapp-Gehirn vor sich geht. Aber die Vögel haben sich ausgerechnet eine Fensternische in einem Industriegebiet in der Nachbarschaft zum Flughafen Zürich-Kloten ausgesucht! Noch verwunderlicher ist, dass das Waldrapp-Pärchen sich von seinen Artgenossen getrennt hat, denn der Waldrapp ist Koloniebrüter.
Der Zoo Zürich und ein Werkstattbesitzer haben Webcams installiert, die die Vögel am Nest live zeigen: Waldrappe On Air | Zoo Zürich. Morgens und über Tag sind sie alle paar Stunden für einige Minuten am Nest zu sehen, solange sie überhaupt noch vor Ort sind. Hier ein Video auf YouTube, das auch in obigem Link zu sehen ist: Wilde Waldrapp-Brut in Rümlang – YouTube.
Zum Fotografieren wünscht man sich sicherlich eine andere Umgebung, als Wellblechdächer und Fensternischen. Aber daran sieht man, dass die Waldrappe vom Fotografieren keine Ahnung haben…
Der Waldrapp gehört zu den Ibis-Vögeln und ist seit über 400 Jahren bei uns in Mitteleuropa ausgerottet. U.a. weil er als Delikatesse galt und die, die es sich leisten konnten, sich den Bauch mit Waldrapp-Fleisch vollschlugen.
Verschiedene umfangreiche Aufzucht-Programme zur Arterhaltung haben die Bestände des Waldrapps wieder anwachsen lassen. Das Pärchen in Zürich stammt, wie uns berichtet wird, aus der Aufzucht-Station Überlingen. Die Tiere wurden mit Sendern ausgestattet. Damit die dort aufgezogenen Waldrappe den Weg in die Überwinterungsgebiete in der Toskana finden, werden sie von Ihren „Eltern“ (den Mitarbeitern der Aufzucht-Station) per motorisierten Drachenfliegern / Ultraleichtflugzeugen (Trikes) dorthin eskortiert. Da die Vögel aufgrund des Klimawandels immer später gen Süden ziehen, wird eine Alpenüberquerung u.a. aufgrund fehlender Thermik für die Waldrappe immer schwieriger und riskanter. Deshalb werden inzwischen Überwinterungsgebiete in Spanien gesucht/hergerichtet, die ohne Alpenüberquerung erreichbar sind.
Am Nachmittag können Peter und ich endlich eine Fütterung beobachten. Allerdings regnet es. Die Bedingungen sind deshalb nicht besonders gut zum Fotografieren. Der Altvogel steuert das Nest an, die beiden Jungvögel danach ebenfalls. Es wird gebettelt auf „Futter komm raus“. Der junge Waldrapp, welcher gerade gefüttert wird, steckt seinen Schnabel tief in den des Elterntiers hinein. Dann wird der leckere Ballen aus Würmern, Spinnen und Schnecken übergeben. Ich würde mich übergeben…
Am nächsten Tag fahren wir noch einmal zum Waldrapp. Das Wetter ist heute besser. Wir beobachten, wie die Waldrappe ihre Flugübungen machen. Sie gesellen sich zu den Rotmilanen, welche die Thermik nutzen, um an Höhe zu gewinnen.
Nicht nur Milane und Waldrappe überfliegen uns. Auch die startenden Maschinen vom nahe gelegenen Flughafen.
Und tatsächlich erwische ich auch einen Storch, der über uns hinweg fliegt. Dass es ausgerechnet der seltene, scheue Schwarzstorch ist, erkenne ich allerdings erst später am Computer.
Erneut erleben wir die Fütterung der jungen Waldrappe. Zuerst beginnend auf dem gegenüberliegenden Dach, dann am Nest.
Nach diesem erfolgreichen Waldrapp-Tag fahren Peter und ich noch zum Aussichtspunkt des Flughafens Zürich und fotografieren startende Maschinen. Davon werde ich vielleicht gelegentlich berichten.
Zwei Tage später fahre ich bei strömendem Regen noch einmal zum Waldrapp. Diesmal mit unserem Fotofreund Florian aus Frankreich. Ich persönlich halte die Chance für sehr gering, die Vögel noch anzutreffen, fahre aber Florian zum Gefallen mit, der den Waldrapp unbedingt auch ablichten will. Aber tatsächlich sind die Vögel noch immer vor Ort (auch noch Tage später!). Sie sitzen auf der Dachreling eines großen Transportunternehmens. Gegen 11:30 Uhr kommen sie zu uns herüber geflogen. Lange bleiben sie nicht, sondern fliegen gemeinsam davon. Florian und ich harren aus. Kurz nach 13:00 Uhr kommen die Waldrappe zurück.
Es ist das erste Mal, dass ich alle vier Mitglieder der Familie Waldrapp zusammen sehe. Sonst war immer nur ein Altvogel bei den beiden Jungen. Gerade setzen sich die vier Vögel gemeinsam auf die Fensternische am Nest, da ertönt ein lauter Knall. Weitere folgen: Es ist der 1. August, der Nationalfeiertag der Schweizer. Einige Jungs haben auf der anderen Straßenseite Böller gezündet. Zwei der Waldrappe fliegen sofort wieder davon. Wir sind sauer. Florian weist die Böller-Jungs lautstark zurecht. Danach haben wir und die Vögel Ruhe…
Glücklicherweise kehren die beiden verschreckten Tiere später erneut zum Nest zurück, so dass wir doch noch Fotos von der ganzen Familie Waldrapp machen können. Florian leiht mir ein Stativ, damit ich, wie er, auch ein Video von der Fütterung drehen kann. Gegen 13:30 Uhr sind alle vier Waldrappe verschwunden. Wir warten bis 17:30 Uhr, aber sie kehren nicht zurück.
Hier das kleine Video von mir, das das Füttern der kleinen Waldrappe und die gesamte Familie zeigt. Tipp: Nach dem Start des Videos unten rechts auf das Symbol für „Vollbild“ klicken! Den Vollbildmodus kannst Du beenden, indem Du auf Deiner Tastatur die „Esc“-Taste betätigst oder auf die gleiche Stelle im Video klickst (das Symbol ist jetzt nicht mehr rahmen- sondern kreuzförmig).
Das folgende Video wird im erweiterten Datenschutzmodus von YouTube geladen. Es gelten die Datenschutzbestimmungen von Google.
Auf der Rückfahrt werden wir vom Deutschen Zoll angehalten und nach unserem Woher und Wohin gefragt. Offensichtlich haben wir die richtigen Antworten gegeben, denn wir dürfen unbehelligt weiterfahren. Florian sagt: „Wenn der Zöllner mich gefragt hätte, ob ich etwas getrunken habe, hätte ich meine Brille abgenommen und gesagt: ‚Jetzt habe ich zwei Gläser weniger‘ „.
Am nächsten Tag schaue ich mir das Live-Bild der Zoo-Webcam (siehe Link weiter oben) an. Die Waldrappe sind noch immer da!
Ich bin natürlich gespannt, wie sich die Waldrapp-Geschichte im nächsten Jahr fortsetzt. Ob die wohl im besagten Industriegebiet eine neue Kolonie gründen? Ich werde es erfahren.
Hallo Roland,
vielen Dank für den Bericht und die Fotos.
Ich habe über die Webcams das Flügge werden der beiden Jungen verfolgt, es ist schön noch einen Bericht und Fotos der Umgebung gefunden zu haben.
Seit 3 Jahre verfolge ich das Projekt der Wiederansiedelung durch das Waldrappteam und bin ein Fan der Vögel geworden.
Zur Zeit findet die menschengeführte Migration 2023 der handaufgezogenen Waldrappe vom Bodensee (Enea und Rupert in Zürich kommen auch von dort) nach Andalusien, dem neuen Überwinterungsgebiet, statt.
Hallo Pati,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Ja, ich hatte gelesen, dass die neue Überwinterungs-Route nun nach Spanien führt und die Alpen wegen der schlechten Aufwinde zur Zugzeit gemieden werden.
Wir wünschen den Waldrapps alles Gute!
Und ich wünsche Dir weiterhin viel Freude bei der Beobachtung des Waldrapp-Projekts!
Liebe Grüße
Ronald
Hallo, Gruß aus der Pellenz.Bin seit 2004 Fan des Waldrapp-Projekts in Burghausen, das immer wieder im TV gezeigt wurde..Tolle Fotos und Bericht aus Zürich (wer hat’s erfunden? ) Das macht ja Hoffnung, daß es mit der Ansiedlung der Vögel voran geht.
Grüße aus der Voreifel…Lothar
Hallo Lothar,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Toll, dass Du das Projekt unterstützt!
Viele Grüße aus der Rureifel in die Pellenz
Ronald
Hallo Roland
Gratuliere das ist eine hervorragende Doku mit fantastischen Aufnahmen vom Waldtrapp
Gruß Helmut
Hallo Helmut,
schön, von Dir zu hören! Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Herzliche Grüße zu Dir nach Belgien
Ronald
Hallo Ronald,
ein toller und informativer Bericht … wie eigentlich immer. 🙂
Schade, dass die Waldrappe sich solch ein für den Menschen unattraktives Gebiet für die Brut ausgesucht haben. Aber du hast das Beste daraus gemacht.
Und Glückwunsch zum Schwarzstorch.
Dir noch eine schöne Zeit vor Ort.
LG Frauke
Hallo Frauke,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende mit hoffentlich vielen tollen Motiven, die ich dann wieder auf Deiner Website bestaunen kann!
Liebe Grüße
Ronald